Als Hochsensible promovieren, was bedeutet das eigentlich? In diesem Bericht nimmt uns Wiebke mit auf ihre Promotionsreise als Hochsensible. Sie erzählt davon, wie sie diese intensive Phase erlebt hat und warum der Bezug zum Thema ihrer Promotion so bedeutsam für sie war. Vielleicht wisst Ihr bereits, dass mir das Thema Hochsensibilität sehr am Herzen liegt. Ich glaube, dass wir als Hochsensible die Herausforderungen in der Promotion anders erleben und tiefer verarbeiten. Daher freue ich mich umso mehr, dass wir mit diesem Bericht einen Einblick erhalten!
Für Wiebke ist das Thema Hochsensibilität inzwischen zum beruflichen Schwerpunkt geworden: Sie begleitet hochsensible und feinsinnige Menschen in Einzel- und Gruppencoachings und hat ganz tolle Onlinekurse entwickelt. Und ich kann Euch sagen: Sie ist dafür ganz genau die richtige Person. Mehr Infos zu ihr und ihrer Arbeit findet Ihr auf der Homepage https://insideout-beratung.de.
Jetzt wünsche ich Euch viel Freude beim Lesen!
Wie meine Promotion als Hochsensible begann
Als ich im Jahr 2013 beschloss mich auf das Abenteuer Promotion einzulassen hatte ich nur eine wage Ahnung davon, dass mich diese Reise in jeder Hinsicht herausfordern würde. Ich bin nicht blind losgelaufen, aber im Nachhinein wäre es sehr hilfreich gewesen vieles im Vorfeld klarer zu sehen. Auf der anderen Seite hätte ich wahrscheinlich nicht so viel über mich selbst gelernt, wäre ich nicht einfach meiner Intuition gefolgt, ohne viel über die genaue Reiseroute zu wissen.
Heute sitze ich hier, sieben Jahre später, und befinde mich im Publikationsprozess meiner fertigen Dissertation. Man sollte meinen, meine Reise sei damit so gut wie beendet, aber die Wahrheit ist: Ich bin noch mittendrin.
Aber noch mal zum Anfang. Ich bin Wiebke. Ich hatte mich damals für das Studium der Ethnologie entschieden, weil es mich schon immer fasziniert hat wie unterschiedlich Menschen leben, was uns verbindet und welche Vorstellungen uns trennen. Als sich mir direkt nach dem Abschluss die Gelegenheit bot zu promovieren, habe ich nur kurz überlegt. Das hatte vor allem zwei Gründe:
- Ich wollte unbedingt ein Projekt von diesem Umfang starten und mich voller Neugier in ein Thema stürzen. Ich wollte die Erfahrung machen wie es ist für etwas „Expertin“ zu werden und Forschung zu betreiben. Ich war Feuer und Flamme!
- Ich wusste schon, dass ich nicht in der Wissenschaft bleiben wollte und rechnete mir gute Chancen aus mit dem Titel beruflich gut Fuß fassen zu können.
Hier stutzen viele, wenn ich das so erzähle. Aber ja, von der Wissenschaft hatte ich bereits genug mitbekommen, um sie als ständigen Kampf um Geld und Zeit wahrzunehmen. Meine Vorstellung von der intensiven Beschäftigung mit wichtigen Themen sieht nach wie vor anders aus und so hatte ich schnell die Idee, mir während der Promotionszeit ein Gebiet zu suchen auf dem ich mich selbstständig machen könnte. Womit? Keine Ahnung. Erstmal loslaufen.
Mein Thema: Die emotionale Verarbeitung der Dreifachkatastrophe in Japan 2011
Und hier wird es spannend!
Eine ganz wichtige Erkenntnis: Die Wahl meines Themas hat mit mir selbst zu tun.
Als ich gefühlt zum 10.000ten Mal meinen Text erneut auf den Schreibtisch bekam und mir ansehen musste, was noch alles verbessert, umgeschrieben und überhaupt anders werden sollte, kam mir der Gedanke alles hinzuschmeißen. Es einfach sein zu lassen. Aufzugeben. In meinem Kopf sagte eine Stimme sehr laut: „Offenbar bin ich nicht gut genug, also warum sich immer wieder dieser schmerzhaften Erfahrung aussetzen?“ Ich habe nur aus einem Grund nicht darauf gehört: Das Thema meiner Dissertation hat zu viel mit mir selbst zu tun, als dass ich es ohne Weiteres hätte aufgeben können.
Wofür hatte ich angefangen zu promovieren?
Der Titel war nie ausschlaggebend gewesen. Auch nicht die beruflichen Chancen, die ich mir ausrechnete. Es war das Thema selbst. Die Emotionen. Die Menschen mit denen ich während meiner Forschung zusammenarbeiten durfte und die Suche nach meiner Art mich auszudrücken. Erst in diesem Moment habe ich verstanden, dass mich dieses Thema auch deshalb so fasziniert, weil es ein wesentlicher Teil von mir ist und ich fing an zu recherchieren.
Die Erkenntnis hochsensibel zu sein war eine Erleichterung, aber ich stellte bald fest, dass meine größten Herausforderungen vor allem mit meinen Mindset und meiner Haltung gegenüber Kritik, Hürden und der Freude über Geschafftes zu tun hatten. Lange hatte ich versucht über Perfektionismus einem negativen Feedback vorzubeugen und hatte eine irrsinnige Energie dort hineingesteckt. Nur um am Ende festzustellen, dass mir der Text trotzdem um die Ohren flog. Als ich aufgeben wollte, war ich an den Punkt gekommen an dem ich merkte, dass ich mit dieser Strategie nicht weiterkam und ich war sehr traurig zu erkennen, wie hart ich mit mir umgehe.
Hochsensibilität als Ressource: Hier half mir meine Feinsinnigkeit enorm
Eines meiner herausstechendsten Merkmale ist, dass es mir leicht fällt gerade in schwierigen Situationen einen Sinn zu entdecken. Ich spürte intuitiv, dass diese Hürden existierten, um mir etwas über mich selbst beizubringen – ein gut verpacktes Geschenk, sozusagen. Ich stellte mir die Frage: „Könnte ich es mir selbst verzeihen vor diesem Geschenk davonzulaufen?“
Die Antwort lautete „Nein!“.
Durch meine feine Wahrnehmung von Gefühlen und Emotionen und der Reflektion über meinen Beitrag zur Situation fiel mir auf, dass ich vor allem mehr Klarheit darüber brauchte, was ich benötigte um die Dissertation abschließen zu können.
Ich buchte ein Coaching bei Dr. Anna Maria Beck (Anm. v. Majana: Eine liebe Kollegin von mir, deren Angebot Ihr hier findet), die ich über eine Veranstaltung der Graduiertenschule in Göttingen kennengelernt hatte und über diesen Austausch bekam ich die Übersicht, die ich brauchte. Ich konnte eine neue Perspektive auf mich, die Dissertation, die Beziehung zu meiner Doktormutter und vielem mehr gewinnen und eine neue Haltung einnehmen. Ich konnte anfangen zu gestalten anstatt mit dem Gefühl zu kämpfen, nur noch emotionale Schadensbegrenzung betreiben zu können.
Das Wichtigste, was ich aus meiner Dissertationszeit gelernt habe:
- Ich bin nicht allein mit meinen Problemen.
- Ich bin für mich verantwortlich, d.h. auch dafür, wie ich eine Situation bewerte und wie ich mit ihr umgehe.
- Ich entscheide, ob ich meine feinen Sinne als Stärke oder Schwäche begreife.
Heute coache und berate ich Feinsinnige und Hochsensible genau zu diesen Themen. Ich unterstütze sie darin ihre Wahrnehmung wertzuschätzen, aber auch ihre Einschätzung zu hinterfragen und sich damit neuen Gedanken und Wegen zu öffnen. Es geht also um echtes Empowerment!
Die Zeit der Promotion ist bald zu Ende, aber die Reise noch lange nicht. Ich bin auf dem Weg in die komplette Selbstständigkeit, wie ich es vor sieben Jahren angedacht hatte, nur dass ich heut sehr viel konkretere Vorstellungen davon habe, was ich machen will und warum. Und dabei hat mir vor allem meine Feinsinnigkeit geholfen. Mir ist jetzt bewusst, dass meine Antworten immer in mir sind und dass ich mich auf diese Antworten verlassen kann.
Wenn ich dir 3 Dinge mitgeben darf, dann sind es diese:
- Glaube nicht deinen Gedanken! Besonders nicht, wenn sie die dir sagen wollen, du seist nicht (gut) genug. Du kannst deine Gedanken verändern und damit auch, wie du mit den Herausforderungen umgehst, die ja in jedem Fall auf dich warten.
- Verschaffe dir Klarheit darüber, was gerade wirklich ist. Steig’ aus deinem inneren Drama aus und verschaffe dir eine neue Perspektive. Die Situation bleibt dieselbe, aber du wirst dich komplett verändert haben.
- Vertraue auf deine Intuition. Wenn du deine Wahrnehmung nicht bekämpfst, sondern für dich nutzt, kann dich diese leise Stimme an Orte bringen, von denen dein Kopf nicht weiß, dass es sie gibt.
Liebe Wiebke, vielen herzlichen Dank für diesen inspirierenden und berührenden Bericht! Wenn Ihr Fragen habt oder noch mehr dazu wissen möchtet: Ich bin sicher, Wiebke freut sich, von Euch zu hören. :o)