Promovieren als Alleinerziehende: Wie eine Doktorarbeit in Pandemiezeiten fertig wurde und was dafür wichtig war

In diesem Bericht nimmt uns Anne mit auf ihre Reise durch die Höhen und Tiefen ihrer Promotion mit Kind. Sie erzählt, wie sie das Promovieren als Alleinerziehende gemeistert hat und wie wichtig dabei die Netzwerke waren, die sie sich geschaffen hat. Ein ermutigendes Beispiel dafür, wie wir Krisen in der Promotion meistern können und dabei so Vieles über uns selbst lernen können. Lest selbst…

Die Situation: Berufsbegleitendes Studium, Kind und Promotion im Forschungsprojekt

Ich bin Kunsthistorikerin mit dem fachlichen Schwerpunkt im Bereich Bauforschung und Denkmalpflege. Mittlerweile bin ich 42 Jahre alt. Nach einigen Jahren Berufspraxis, vorwiegend in Architekturbüros, habe ich berufsbegleitend einen Master of Science an der BTU Cottbus – Senftenberg absolviert. Wenige Wochen nach dem Master bin ich Mutter geworden und nach einem Jahr Elternzeit wieder im Berufsleben eingestiegen. Wieder einige Jahre später ergab sich die Chance, an einem DFG-Antrag für ein größeres Bauforschungsprojekt mitzuwirken. Nachdem der Antrag angenommen wurde, habe ich meine damalige Stelle gekündigt und eine drittmittelfinanzierte WM-Stelle an der Universität in Kassel angetreten. Meine Stelle beinhaltete die Teilprojektleitung bei dem Forschungsprojekt und auch aktive Forschung. In diesem Rahmen entstand meine Dissertation bzw. konnte ich einige im Forschungsprojekt gewonnene Daten und Untersuchungsergebnisse für meine Dissertation verwenden. Bis heute kann ich von dem in dieser Zeit gewonnenen Netzwerk profitieren. Mein Sohn war zu Beginn der Dissertation 4 Jahre alt, ich bin seit diesem Zeitpunkt alleinerziehend.

Die Herausforderungen: Spagat, Existenzängste, Pandemie

Die größte Herausforderung in dieser Zeit war der Spagat zwischen beruflichen Anforderungen, dem äußeren und inneren Druck (die Dissertation voranzubringen) und natürlich meiner Rolle als alleinerziehende Mutter. Die schwierigste Zeit war meine einjährige Arbeitslosigkeit nach dem Ablauf meiner WM-Stelle. Die Zeit konnte ich nicht in Ruhe für die Verschriftlichung meiner Forschungsergebnisse nutzen. Ich habe mich auf eine intensive Jobsuche begeben, die streckenweise von Existenzängsten begleitet wurde. Hinzu kam die Coronapandemie und die damit verbundene zusätzliche Aufgabe des Homeschoolings sowie der ebenfalls coronabedingte erschwerte Zugang zu Archivalien.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich die aktuelle #ichbinhanna – Debatte sehr begrüße. Es wurde wirklich Zeit, dass diese Thema publik gemacht wird.

Die Ressourcen: Netzwerken, Coaching, Austausch

Mein Netzwerk aus Familie und anderen befreundeten Familien konnte ich vor der Coronazeit gut nutzen, um neben anderen Aufgaben konzentriert an der Dissertation zu arbeiten oder auch, um Luft zu holen. Mit der Pandemie fiel auch dieser Puffer weg. Geholfen hat mir generell in der Promotionszeit das Vernetzen mit anderen Promovierenden, die Schreibchallenges von Dr. Jutta Wergen, das Doktorandenkolloquium meines Fachbereichs mit fantastischen Treffen inklusive konstruktiver Gespräche sowie akute Coachings in besonders stressigen Phasen. Während der Pandemie haben sich online sehr gute Netzwerke entwickelt. Der Austausch zwischen Promovierenden, unabhängig von der jeweiligen Disziplin, ist absolut empfehlenswert. In der Schlussphase meiner Dissertation habe ich einen neuen Job angetreten, der Dank meines Dissertationsthemas und meines beruflichen Netzwerkes zustande kam. Das hat mich enorm bestärkt und in den letzten Wochen der Arbeit an der Diss den notwendigen Anstoß gegeben. Der Begriff des Zielgeradenpragmatismus beschreibt diese Zeit ganz gut.

Meine wichtigsten Erkenntnisse: Selbstreflexion, Struktur, Pausen

Während der Arbeit an der Dissertation muss man sich enorm auch mit sich selbst auseinandersetzen. Das war mir vorher nicht bewusst. Mittlerweile bin ich sehr dankbar dafür.

Aus dieser Zeit nehme ich auch mit, dass man seine Dissertation – und auch andere Dinge – selbst unter streckenweise widrigen Rahmenbedingungen schaffen kann. Wichtig ist es dabei, dass man sich gut strukturiert und auch bei Zeitdruck auf seinen Körper hört und sich notwendige Pausen gönnt, in denen man alles links liegen lässt. Ich hatte das Glück, dass ich mein Thema bis heute sehr spannend finde. Aufgrund meiner vorherigen mehrjährigen Berufspraxis war ich es gewohnt, termingebunden zu arbeiten und wusste es sehr zu schätzen, dass ich forschen kann. Sehr schnell ist mir bewusst geworden, dass das familienbedingte abrupte Ende vieler Arbeitstage sehr viele positive Nebeneffekte mit sich brachte: auf dem Spielplatz konnte ich häufig sehr gut abschalten, den Tag sacken lassen und neue Ideen entwickeln. Durch die Zeit mit meinen Sohn habe ich auch in intensiven Forschungsphasen nicht den Bezug zur Realität verloren und bin geerdet geblieben.

Meine Tipps für promovierende Eltern

Macht es und erzählt Euren Kindern, wenn sie groß genug sind, was ihr da macht und was daran für Euch spannend ist! Und ganz pragmatisch:

  • Am Ende jeden Tages aufschreiben, was man geschafft hat und sich eine kleine Notiz für den nächsten Tag oder das nächste Zeitfenster machen, an welcher Stelle oder mit welcher Frage es weitergeht.
  • Mit der Pomodoro-Technik kann man sich antrainieren, auch in kleinen Zeitfenstern etwas zu schaffen. Dafür kann man sich im Vorfeld kleine Arbeitspakete schnüren und aufschreiben. Ich habe mir irgendwann eine Sanduhr besorgt. Mein Sohn wusste dann, wenn die Uhr gerade läuft, macht jeder von uns Beiden etwas für sich und ich kann dann gerade keine Fragen beantworten.
  • Schlechte Phasen gehören dazu, sie vergehen wieder. Ich habe dann meist meinen Laptop ausgeschaltet, mich mit komplett anderen Dingen und Familienzeit abgelenkt und vor allem im Netzwerk (oder mit Coaches) darüber gesprochen. Das hilft. Nach ein paar Tagen Abstand sind fast jedes Mal großartige Ideen entstanden oder es haben sich Gedankenknoten gelöst.

Rückblick und Dank an meinen Sohn

Unterm Strich habe ich mit allen Höhen und Tiefen und abschließend den Coronabedingungen 4,5 Jahre an meiner Dissertation gearbeitet. Die Abgabe habe ich mit meinem Sohn gefeiert und ihm für seine Geduld gedankt. Die Disputation steht noch aus.

Anne.


Liebe Anne, ich danke Dir ganz herzlich für diesen ehrlichen Bericht. Es ist so wertvoll, dass Du anderen Einblick gibst in die Höhen und Tiefen Deiner Promotion als Alleinerziehende. Ich finde es ganz toll, wie Du Dir mithilfe Deiner Unterstützer:innen aktiv aus den Tiefs herausgeholfen hast. Und ja, dank unserer Kinder haben wir immer jemanden, der/die uns erdet – oder auch: auf den Boden der Tatsachen zurückbringt 😉 – und dadurch einen hilfreichen Abstand zur Promotion schenkt. Alles Gute für Dich und natürlich: Viel Erfolg für die Disputation!

Wenn Du gerade mitten in Deiner Promotion mit Kind steckst und Dir neuen Schwung für Dein Vorhaben wünscht, dann melde Dich jederzeit gerne bei mir oder trage Dich unverbindlich für die nächste Mastermindgruppe für promovierende Mütter ein.