Promovieren mit Kind: Wie eine Dissertation mit kleinem Baby fertig werden kann
Promotion abgeschlossen, hurra! Heute berichtet Euch Anna davon, wie sie ihre Dissertation mit kleinem Baby erfolgreich zum Abschluss gebracht hat und wie ihr Aufgabenmanagement ihr dabei geholfen haben. Anna ist promovierte Historikerin im Bereich Neuere und Neueste Geschichte und Mutter eines zweijährigen Sohnes. Ihr Dissertationsprojekt hat sie an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf durchgeführt und war in einem historischen Graduiertenkolleg assoziiert.
Schwanger in der Endphase der Promotion: Ein durchgerüttelter Zeitplan
Mein Kind wurde im Mai 2018 geboren, genau in der Abschlussphase meiner Promotion. Grundsätzlich haben wir die Entscheidung getroffen, ein Kind relativ zeitnah zur Promotionsphase zu bekommen, weil wir zu dem Schluss gekommen waren, dass es ohnehin nie „passt“ und wir trotzdem gerne eine Familie gründen wollten. Mein Mann und ich hatten uns allerdings auf eine längere Phase der „aktiven Familienplanung“ eingestellt und waren davon ausgegangen, dass unser Kind idealerweise in den Monaten nach Abschluss der Promotion geboren werden würde. Als ich dann doch sehr schnell schwanger wurde, musste ich mich plötzlich mit einem deutlich durcheinander gerüttelten Zeitplan auseinandersetzen.
Fünf Monate nach der Geburt: Dissertation eingereicht
Letztlich habe ich mein Fazit etwa eine Woche vor der Entbindung zu Ende geschrieben und bin etwa drei Monate nach der Geburt wieder stundenweise an den Schreibtisch zurückgekehrt, um den Text zu korrigieren und zu formatieren. Insgesamt war ich ein Jahr in Elternzeit. Fünf Monate nach der Geburt habe ich die Arbeit eingereicht und die Verteidigung hat stattgefunden, als mein Sohn achteinhalb Monate alt war. Dann kam erfreulicherweise auch schon das Angebot der baldigen Publikation, für die allerdings noch Druckkostenzuschüsse eingeworben und die organisatorischen Schritte geklärt werden mussten. In den verbleibenden Monaten meiner Elternzeit habe ich mich also darum gekümmert und dann – ja, endlich! – in den letzten Wochen vor meinem Wiedereinstieg in den Job auch ein bisschen Pause von der Diss gemacht. Das war tatsächlich alles ganz schön anstrengend. Aber Vieles ist auch sehr gut gelaufen und ich habe sehr viel gelernt über mich, meine Leistungsfähigkeit, über Techniken der Selbststrukturierung, über Babys und über ein müdes aber nichtsdestoweniger großes Elternglück.
Unsicherheit über die Rückkehr auf die bisherige Stelle
Ich hatte das große Glück, buchstäblich bis zum Tag vor der Entbindung, an dem ich die zwei Kilometer zum Kontrolltermin bei der Gynäkologin noch zu Fuß gegangen bin, absolut fit zu sein. Bis auf leichte Übelkeit und Müdigkeit im ersten Trimester hatte ich eine wunderbare Schwangerschaft. Ein wenig überschattet wurde die Zeit durch die Unsicherheit, was meinen Job anging: Ich hatte die sechs Jahre nach WissZeitVG erreicht und war zunächst mit der Aussicht auf Wiedereinstellung nach Abschluss der Promotion für das writing up ein Semester in die Arbeitslosigkeit gegangen. Da nun die Geburt meines Kindes und die Elternzeit meiner Wiedereinstellung vorausgehen würden, machte ich mir Sorgen, ob das alles so klappen würde. Letztlich ist alles aber gut gegangen und ich konnte direkt nach meiner Elternzeit wieder auf meine alte Stelle zurückkehren.
Schreiben in der Elternzeit: Abwechslung willkommen
Während der Elternzeit habe ich die Arbeit an der Promotion durchaus als willkommene Erweiterung des Horizonts über die Babyblase hinaus erlebt. Auch wenn es eine organisatorische und mentale Herausforderung war, hat es mir auch gut getan, diesen Ausgleich zu haben. Letztendlich hat es mir auch gezeigt, wie sehr mir Wissenschaft Spaß macht und mich erfüllt, trotz aller Erschöpfung und emotionalen Bindung zum Baby.
Promovieren mit Augenringen: Die Herausforderung Müdigkeit
Meine größte Herausforderung in Bezug auf die Fertigstellung der Promotion in der Elternzeit war ein all-time-classic – wenn nicht originell, so doch sehr wahr – die Müdigkeit. Nach einem schlaftechnisch sehr entspannten Start waren die Nächte über Monate um die zehnmal unterbrochen und auch, als es besser wurde, hat uns das Baby immer noch so um die vier, fünfmal geweckt. Alle Babys wachen auf, das gehört ja dazu, aber das war schon eine ganz schöne Nummer. Doch irgendwie ging‘s trotzdem, und die Erfahrung, trotz solcher widrigen Bedingungen eine Promotion zu schaffen, ist auch sehr empowernd.
Struktur und Unterstützung: Selbstmanagement für die Promotion mit Kind
Ich konnte mich in der Promotionsphase mit kleinem Kind auf unterschiedliche Ressourcen stützen, wie etwa die gleichberechtigte Elternschaft und Arbeitsteilung zuhause sowie meine Mutter, die unseren Sohn schon früh begonnen hat zu betreuen. Diese Rahmenbedingungen haben es überhaupt erst ermöglicht, dass ich die Promotion in dieser ohnehin schon intensiven Zeit beenden konnte. An dieser Stelle möchte ich aber etwas ausführlicher über eine Ressource berichten, die ich mir selber geschaffen habe und die ich als äußerst hilfreich erlebt habe – meine Fähigkeit zur Eigenstrukturierung.
Dazu vorab zwei Dinge:
- Ich bin ein Planungsjunkie. Das Entwerfen von Zeitplänen, Anlegen von Listen, Diagrammen etc. macht mir mitunter soviel Spaß, dass ich aufpassen muss, dass das Ganze nicht zur Prokrastinationsstrategie gerät. Denn Pläne sind ja nun mal dafür da, mit Einschränkungen zu scheitern, und was könnte wichtiger sein, als den Plan noch einmal komplett neu zu überarbeiten und gleich auch ein neues Tool auszuprobieren, wenn man gerade mal wieder eine Woche in Verzug geraten ist?! 😉 Meistens gelingt es mir aber ganz gut, meinen Enthusiasmus fürs Zeitmanagement unter Kontrolle zu halten.
- Die Planung mache ich ausschließlich digital, denn ich bin nicht begabt für die Planung auf Papier. Allerdings glaube ich, dass es dafür mindestens genauso gute Möglichkeiten gibt, und viele digitalen Planungssysteme auch analog funktionieren können. Traditionelle Ansätze dafür bietet etwa das 43 Folders System(https://en.wikipedia.org/wiki/Tickler_file) und auf Pinterest wird man bei der Eingabe der entsprechenden Schlagworte regelrecht bombardiert mit Vorschlägen zum handschriftlichen Task- und Projektmanagement mit unterschiedlich farbigen Stiften, Post-Its, Klebepunkten, Symbolsystemen etc. Meiner Meinung nach ist es reine Typsache, ob man analog oder digital plant.
Freier Kopf dank Aufgabenplanung mit Getting Things Done (GTD)
Ungefähr zu Beginn meiner Promotion bin ich auf das von David Allen entwickelte Aufgabenverwaltungssystem Getting Things Done (GTD) gestoßen. Eigentlich handelt es sich hier schon fast um eine Philosophie, an Aufgaben heranzugehen – sie zu sammeln, zu strukturieren und abzuarbeiten. Dabei geht es vor allem darum, durch unterschiedliche Strategien den Kopf frei zu bekommen, nicht ständig an alle möglichen anstehenden Aufgaben zu denken und trotzdem den Überblick über alle wichtigen To Dos zu behalten.
Eine Inbox für Aufgaben
Das Prinzip, das übrigens auch gut auf Papier funktionieren soll, sieht vor, dass alle Aufgaben die neu anfallen, zunächst einmal in eine Inbox-Liste kommen. Es bietet sich an, am Anfang erstmal einen großen brain dump zu machen, in dem man einmal alles aufschreibt, bis einem nichts mehr einfällt und erst dann die Aufgaben weiter sortiert (s.u.). Sinn der Inbox-Liste in der Praxis ist es, dass jede Aufgabe, die in den Kopf kommt an einem Ort „zwischengelagert“ werden kann, so dass wieder mentale Kapazitäten für das eigentliche Thema/Projekt frei werden. Diese Inbox sollte meiner Erfahrung nach regelmäßig, idealerweise täglich, sortiert bzw. geleert werden, das dauert nur ein paar Minuten.
Weitere Unterteilung und Zuordnung zu Kontexten
Wohin dann mit den ganzen Aufgaben in der Inbox? GTD sieht vor, dass jede Aufgabe einer area of responsibility und einem Kontext zugeordnet wird. Das heißt, es gibt Listen etwa zur Dissertation, zum Publizieren und Vortragen, für die Lehre etc. Diese unterteilen sich in einzelne Projekte, wie etwa bei der Diss die Literaturrecherche, das Einlesen zu einem bestimmten Aspekt, das Abfassen eines Kapitels usw. Die Projekte zerfallen wiederum in einzelne Aufgaben, die möglichst konkret und zielorientiert formuliert werden. Aus einer Formulierung wie „über Aspekt XY informieren“ wird konkret z.B. „Recherche der Begriffe A, B und C in den Datenbanken C, D und F“. Ebenfalls wichtig ist die Frage, in welchem Zeitraum die jeweilige Aufgabe bearbeitet werden kann oder muss. Dazu gehört – logisch – ein Fälligkeitsdatum. Sinnvoll kann es aber außerdem sein, auch ein Startdatum einer Aufgabe zu definieren. Wenn z.B. die Einreichung eines Kapitels bei dem/der Betreuer*in ohnehin erst möglich ist, wenn diese*r aus dem Urlaub zurück ist, muss man sich bis dahin mit dem Formulieren der entsprechenden Mail nicht stressen und kann sich anderen Dingen zuwenden.
Außerdem arbeitet GTD mit dem Prinzip von Kontexten, in denen die Aufgaben jeweils erledigt werden. Das kann z.B. der Rechner, die Bibliothek, jedoch auch eine Person wie der/die Betreuer*in sein. Die Idee dabei ist, Aufgaben möglichst effizient zu bündeln – also, wenn ich schon mit der Doktormutter zum Kaffee verabredet bin, arbeite ich direkt die ganze Liste von offenen Fragen an sie ab. Oder: Wenn ich in der Bibliothek bin, leihe ich nicht nur drei Bücher aus, sondern scanne auch gleich die beiden Zeitschriftenaufsätze, die ich nächste Woche lesen wollte.
Wochenrückblick und Aktualisierung
Ein letztes wichtiges Prinzip ist das des weekly reviews. Das bedeutet, dass einmal pro Woche alle Aufgaben in allen Listen durchgegangen und überprüft werden. Dabei kann man idealerweise einige streichen, weil man sie schon en passant erledigt hat oder sie nicht mehr relevant sind („Doch nicht auf den CfP beworben – na egal…“). Andere Aufgaben müssen aktualisiert werden (z.B. veränderte Deadline), und sicherlich auch einige ergänzt werden. Ziel des weekly reviews ist, alles immer einigermaßen im Blick zu behalten, damit über den Rest der Woche das Gefühl dominiert, den Kopf für das Wichtige, nämlich die Arbeit am Dissertationsprojekt, frei zu haben.
Abschalten dank guter Struktur
Für mich hat das GTD-System insgesamt sehr entlastend und strukturierend gewirkt, auch wenn ich mich nicht immer sklavisch an alle Prinzipien gehalten habe. So wurden in der Endphase die Kontexte z.B. immer unwichtiger, es gab ohnehin nur noch das Baby, mich und den Rechner auf den Knien. Gerade in der ersten Babyzeit, wo man auch ohne Diss ja oft schon nicht weiß, wo einem der Kopf steht, konnte ich auf diese Weise beruhigt sein, dass ich nichts wirklich Wichtiges in Bezug auf die Promotion vergessen hatte und auch mal abschalten. Weitere Techniken und Tools, die mir weitergeholfen haben und es immer noch tun, sind eine gute Literaturverwaltungssoftware, Techniken des Projektmanagements mit Gantt-Diagrammen und eine feste Routine der Tagesplanung.
3 Ratschläge promovierende Eltern
Ich würde promovierenden Eltern und denen, die es werden wollen, gerne dreierlei mit auf den Weg geben:
1) Den Stellenwert von Familie(nplanung) und Promotion klären
Zuallererst für alle, die zaudern, ob sich Promotion und Familienphase vertragen: Werdet euch eurer Prioritäten bewusst. Daran habe ich selbst lange geknapst. Ich finde es absolut gerechtfertigt, sich aus Karrieregründen dagegen zu entscheiden, Kinder zu bekommen. Genauso legitim ist es, die Familienplanung etwaigen Promotionsplänen überzuordnen. Was mir letztlich bei der Entscheidung für oder gegen Kinder geholfen hat, ist ein Rat einer älteren Kollegin, selbst Mutter und Professorin. Sie riet mir, meine Entscheidung nicht von der Angst vor einem potentiellen Karriereknick abhängig zu machen. Stattdessen schlug sie mir vor, mir zu überlegen, wie ich am Ende meines (Berufs)Lebens zurückblicken wollen würde. Wäre es mir die Sache wert gewesen, für die Karriere auf Kinder verzichtet zu haben, auch wenn ich nicht alles Ziele erreicht hätte? Oder – auch möglich, wäre es die Sache doch wert gewesen? Wie schlimm wäre es, wenn sich manches der Familie wegen nicht hätte realisieren lassen? Dieses Gedankenexperiment ist zwar erstmal recht negativ orientiert, ich fand es jedoch sehr hilfreich: Denn mir wurde dadurch klar, dass mir mein Beruf zwar eine zentrale und auch sehr erfüllende Rolle in meinem Leben spielt, aber dass eine Familie zu haben mir mindestens genauso wichtig ist.
2) Den finanziellen Rahmen klären
Da Promotionen häufig ohnehin schon unter prekären finanziellen Bedingungen durchgeführt werden: Macht euch frühzeitig schlau über die finanziellen Rahmenbedingungen einer eventuellen Elternzeit. Wie vertragen sich Stipendien und Elterngeld? Seid ihr noch komfortabel innerhalb der sechs Jahre des HochschulZeitVertragsgesetzes unterwegs oder steht eine writing-up-Phase in der Arbeitslosigkeit an? In meinem Fall war es z.B. so, dass mein Elterngeld aufgrund von sieben Monaten einer halben Stelle auf TVL 13 und fünf Monaten Arbeitslosigkeit berechnet wurde (s.o.). Da das Arbeitslosengeld mit null Prozent berechnet wird, blieb da nicht viel übrig. Es gibt in Düsseldorf aber tolle Beratungsangebote für die Regelungen zum Elterngeld, etwa vom Geburtshaus und Pro Familia. Auch mit der Elterngeldstelle der Stadt habe ich positive Erfahrungen gemacht. Hinterher kommt dann ja doch alles anders als man denkt ;), aber vielleicht habt ihr euch mit dem Szenario was euch am Ende erwartet, dann ja schon zumindest als Option ein bisschen auseinandergesetzt.
3) In eine gute Planung investieren
Zumindest wenn es aus unterschiedlichsten Gründen einen mehr oder weniger klaren Zeithorizont gibt (Stelle läuft aus, eine neue Anstellung winkt, aber Bedingung ist die Promotion oder auch immer wieder gerne die selbstgesetzte Deadline) würde ich dazu raten, ein bisschen Zeit und wenn nötig und möglich auch Geld in eine gute Planung und Projektmanagement zu investieren (z.B. in entsprechende Tools).
Liebe Anna, ich danke dir herzlich für diesen wertvollen Bericht über deine Promotionsphase mit Kind. Toll, dass du uns Einblick gibst in dein Aufgabenmanagement während der Babyzeit. Und last, but not least: Ganz herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Promotion!! Wenn ihr Fragen an Anna habt oder euch austauschen möchtet, stelle ich – natürlich in Absprache mit ihr – gern den Kontakt her.